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wollen Sie denn noch?«
»Mit ihm reden«, erklärte Kischkewitz freundlich. »Selbst-
verständlich können Sie teilnehmen.«
»Und wenn ich meinen Anwalt anrufe?«
Kischkewitz atmete laut aus. »Dann bin ich gezwungen, Ih-
ren Sohn mitzunehmen. Die Sache verträgt keinen Aufschub.«
Die Eltern schwiegen sekundenlang, dann entschied der Herr
der Vulkanschlacken: »Also gut, kommen Sie rein.«
Er führte uns wieder in sein Büro, griff zum Telefon und sag-
te: »Kevin, kommst du bitte mal zu mir?« Dann wies er uns
Stühle an. »Wollen Sie einen Kaffee oder was anderes?«
»Nein, danke«, lehnte Kischkewitz ab.
Griseldis Schmitz war hinter uns stehen geblieben und fragte:
»Wieso haben Sie einen Vertreter der Presse dabei?«
Es klang scharf.
»Herr Baumeister ist als Zeuge hier«, stellte Kischkewitz
fest. »Das hat mit seinem Beruf nichts zu tun.«
»Zeuge wofür?«, fragte Schmitz.
»Warten Sie es ab.«
Der Junge kam herein und es war seinem Gesicht anzusehen,
dass er einen Sturm erwartete. Seine Augen glitten unruhig hin
und her, seine Bewegungen waren stockend. Er setzte sich auf
einen Stuhl rechts von uns.
»Die Herren wollen dir ein paar Fragen stellen«, sagte der
Vater. »Bitte, meine Herren.« Er stellte in seiner Unsicherheit
eine ungeheure Arroganz zur Schau.
»Kevin«, begann ich so sanft wie möglich, »wir wollen noch
einmal auf den Donnerstag zurückkommen. Ihr habt erzählt, ihr
seid nach der Schule jeder für sich mit dem Rad rumgefahren.
Inzwischen habe ich erst mit Gerd Salm gesprochen, anschlie-
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ßend mit Bernard und Anke. Ich weiß jetzt, was wirklich gewe-
sen ist.«
Wir warteten, was geschehen würde, aber es geschah nichts.
»Bist du einverstanden, dass ich dir erzähle, was ich weiß?«
Kevin sah kurz hoch und nickte.
»Gut. Also, ihr seid zu dritt losgefahren. Du, Bernard und
Anke, nicht allein, wie ihr erst erzählt habt. Ihr seid direkt rauf
in den Stadtwald geradelt. Wenn ich überlege, was Anke und
Bernard gesagt haben, wart ihr gar nicht lange dort oben bei
der Liebeslaube, vielleicht nur eine Viertelstunde.«
»Moment«, sagte die Frau hinter uns heftig. »Ich möchte
doch darum bitten, dass das & «
»Frau Schmitz«, sagte Kischkewitz scharf, »Sie müssen sich
damit abfinden, dass die Kinder, Ihr Sohn eingeschlossen, Sie
die ganze Zeit beobachtet haben. Und zwar schon seit langem.
Seien Sie nun bitte still, sonst kann Ihr Sohn nicht erzählen,
wie er die Sache erlebt hat. Und es geht um Ihren Sohn, nicht
um Sie!«
»Aber es geht Kinder nichts an, was Erwachsene tun. Die
Kinder können doch damit gar nichts anfangen.« Herbert
Schmitz hatte einen hochroten Kopf und wedelte mit dem rech-
ten Arm, als dirigiere er ein Orchester.
»Sagst du es oder soll ich es sagen?«, fragte mich Kischke-
witz sanftmütig.
Ich musste grinsen. »Ich mach es. Wissen Sie, Herr Schmitz,
es ist geradezu grandios, wie sehr Sie am tatsächlichen Leben
Ihres Sohnes vorbeireden. Ihr Sohn hat seine Mutter und ihre
Liebhaber in ihrer Liebeslaube beobachtet. Ihr Sohn hat Sie im
Betrieb gesehen, wie Sie mit einer Sekretärin herumspielten. Es
heißt, Sie haben gar nicht gemerkt, dass Ihr Sohn in der Tür
stand. Sie machen mich ärgerlich, wenn Sie sich anmaßen zu
entscheiden, was man Kindern sagen kann und was nicht. Die
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Kinder, die ganze Clique, hat gewusst, was Sie und Ihre Frau
treiben. So, und jetzt einmal ganz vorsichtig weiter. Kevin, ihr
seid also oben bei der Liebeslaube gewesen. Du bist erst traurig
und dann furchtbar wütend geworden. Und du bist durch diese
blöden Brombeerranken zurückgekrochen, hast dich auf dein
Fahrrad gesetzt und bist losgefahren. Direkt zum Amor-Busch.
Du hast nämlich gewusst, dass die Annegret da war, weil sie
mit Gerd Salm verabredet war. So war es doch, oder?«
Er nickte.
»Was ist passiert, Kevin, als du zu Annegret gekommen
bist?«
»Sie hat mich in den Arm genommen. Das hat sie oft ge-
macht. Immer wenn ich nicht gut drauf war.«
»Warum, um Himmels willen, hat es denn Streit gegeben?
Streit war doch gar nicht nötig, es war doch alles wieder in
Ordnung.«
»Ich war so schrecklich wütend, ich weiß auch nicht warum.
Ich hab gesagt, ich schneide dem Polen die Eier ab.«
Der Vater zuckte zusammen. Griseldis Schmitz hinter uns
ließ ein erschrockenes »Oh« hören.
»Aber Annegret hat dir gesagt, das sei keine Lösung. Anne-
gret war der Meinung, dass man die Erwachsenen in Ruhe
lassen sollte. Hatte Annegret nicht mal gesagt: Liebe müssen
wir selbst machen?«
»Ja.«
»Wie ging es weiter, Kevin?«
»Sie hat gesagt, ich geb dir was zum Trösten. Und dann hat
sie sich & dann hat sie sich ausgezogen. Und sie hat gesagt,
ich dürfte meinen Kopf in ihren Schoß legen und dann würde
alles wieder gut.«
»Das ist Vergewaltigung!«, sagte Herbert Schmitz erregt.
»Die Kleine hat unseren Sohn vergewaltigt.«
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Das wirkte so grotesk, dass selbst seine Frau empört schnauf-
te. Kischkewitz betrachtete den Unternehmer mit erstaunten
Augen.
»Niemand hat Ihren Sohn vergewaltigt«, stellte ich fest.
»Oder hat Annegret dich vergewaltigt, Kevin?«
»Nein«, sagte er. »Das hat sie nicht. Sie hat nur gesagt, ich
sähe auch gut aus.«
»Du warst auch nackt?«, fragte ich.
»Ja.«
»Und du warst so aufgeregt, dass es dir passierte, nicht
wahr?«
»Ja. Sie hat mich gestreichelt.«
»Und dann hat sie etwas gesagt, was dich verrückt gemacht
hat?«
»Ja.«
»Was war das, was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, ich wäre noch klein und harmlos und sollte
Gerd nichts erzählen, weil eigentlich nur Gerd gut für sie wäre.
Und sie hat gesagt, mein Penis sei & also, sie hat gesagt & «
Er brach ab.
»Rede ruhig weiter«, bemerkte Kischkewitz. »Das ist nicht
wirklich wichtig. Aber es wäre gut, wenn wir es wüssten.«
»Mein Schwanz sei noch ziemlich klein, hat sie gesagt. Und
dann sagte sie: Auch für deine Mutter reicht der nicht.«
Er sah sich nach seiner Mutter um, die mit einem erstickten
Wort reagierte, das niemand verstehen konnte.
»Dann kam der Stein«, stellte Kischkewitz fest.
Die Stille dröhnte.
Der Junge sagte tonlos: »Ja, dann kam der Stein.«
Kischkewitz stand auf und bewegte nickend den Kopf, als sei
diese Szene eine ewige Wiederholung in seinem Leben. Wahr-
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scheinlich war das so.
»Ich nehme Ihren Sohn mit.«
»Um Gottes willen!«, schrie die Mutter. »Kein Gefängnis.«
»Ihr Sohn wird kein Gefängnis von innen sehen. Aber er
muss zu Leuten, die sich um seine Seele kümmern. Das ist
wichtiger als alles andere.«
»Aber er hat keinen Verteidiger«, sagte der Vater. Sein Ge-
sicht war bleich und von Schweißperlen überzogen.
»Er braucht keinen Verteidiger«, sagte Kischkewitz. »Es wä-
re gut, gnädige Frau, wenn Sie ihm ein paar Sachen
einpackten.« Das : gnädige Frau9 kam daher wie ein Peitschen-
hieb.
»Ich gehe dann mal, mein Alter. Ich sehe dich später«, mur-
melte ich.
»Ja«, sagte er. »Du musst als Zeuge aussagen. Das weißt
du?«
»Sicher. Ich bin daheim und erreichbar.«
Ich fand mich dann hinter dem Steuerrad wieder, ich weinte. Es
dauerte eine ganze Weile, ehe ich losfahren konnte.
Ich musste in Hamburg Bescheid sagen, dass ich eine wun-
derbare Geschichte hatte. Nicht sagen würde ich, dass ich
beinahe darin versackt wäre.
Ich rannte durch mein Haus, das zum Glück verwaist war,
und war in großer Hektik. Schließlich fand ich eine Naturmedi-
zin, die ich irgendwann einmal gekauft hatte, als es mir
schlecht ging. Auf der Packung stand: Die Einschlafkapseln
fördern auf natürliche und bewährte Weise den gesunden und
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